5. Tour
1000 Jahre auf engstem Raum. Mit ein bisschen gutem Willen und gegenseitigem Respekt und Akzeptanz kann das Gestern und Heute ganz gut unter einen Hut gebracht werden. Jedem seinen Platz einräumen, auch den Dingen, die nicht so ganz ins eigene Weltbild passen, hilft da ungemein weiter.
Auf Grund der im Juli zu erwartenden Temperaturen wollen wir bei dieser Tour mehr Wert auf Heimatkunde als auf den Sport legen (wie sagt man, einmal Lehrer, immer Lehrer). Das soll natürlich für die Wander- und Spazierwilligen in keiner Weise eine Bremse sein.
Welcher Ort kann schon von sich sagen, eine Burg, zwei Schlösser und ein Badehaus der Römer in seinen Mauern zu haben. Sicher wissen Sie viel darüber und genau das ist mein Handicap. Was soll ich Ihnen da noch Neues erzählen. Aber ich strenge mich an, Sie wissen ja, an der Aufgabe wachsen, und ich glaube, dass Sie noch nicht alles wissen (ich übrigens auch nicht).
Also kommen Sie mit an die Orte einer chronologischen Zeitreise durch fast zwei Jahrtausende Jagsthausen, natürlich ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
200 n. Chr.: Renovierung des Römerbads in Jagsthausen
Davon zeugt der Renovierungsstein am Eingang des Römerbads, der uns sagt, dass das Bad unter Kaiser Septimus Severus von Grunde auf renoviert wurde („vetustate dilabsum a solo restitutum“). Das Original befindet sich übrigens im Museum der Götzenburg. Er verdankt seine Entdeckung am Ende der Ausgrabungen dem Zufall. Ein Mitarbeiter stieß mit dem Fuß an eine Ecke des sich im Erdreich befindlichen Steins. Dem Fluch wegen des heftigen Schmerzes wich schnell zu Erstaunen über den außergewöhnlichen Fund, einem bearbeiteten Quader aus Lettenkeupersandstein mit Renovierungsinschrift etwa aus dem Jahre 200 n. Chr.
In dem Stein waren die Daten der Renovierung eingemeißelt, den Wortlaut und die dazugehörige Übersetzung finden sie auf einer der Schautafeln im Römerbad. Man erfährt unter anderem, dass das Bad nach 45 Jahren saniert wurde.
Das entlockte bei einer meiner Ortsführungen einem älteren Stuttgarter den knappen Kommentar „scho?“ (schon). „Stellen sie sich vor“, versuchte ich die Sache zu klären, “Sie heiraten mit 20 Jahren und 45 Jahre später, mit 65 Jahren, fragt Sie Ihre Frau, ob man das Bad vielleicht etwas aufhübschen könnte, was würden Sie dazu sagen?“. „Des langt‘s voll naus“, (frei übersetzt „das erfüllt noch seinen Zweck bis wir beide sterben“) antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln, wie aus der Pistole geschossen.
1248: Turm der Evangelische Kirche.
Der fast 30 m hohe massige Kirchturm, der von einem Kuppeldach aus dem Ende des 18. Jahrhunderts gekrönt wird, wirft, ebenso wie die Kirche selbst, viele Fragen auf.
Waren die acht Ecken des Turms, die nicht einmal gleiche Seiten haben, vielleicht ein Affront gegen den Kaiser, der das Achteck als Privileg für sich beanspruchte? Warum ist der Turm so breit wie das ganze Kirchenschiff?
Unter dem Turm befindet sich eine Krypta, in der Verstorbene der Berlichingens ab ca. 1600 bestattet wurden. Durch das runde Fenster kann man einen Blick darauf werfen. Wo war der Zugang, am Aufgang zum Altar, wie es in vielen anderen Kirchen der Fall ist, oder war er von außerhalb? Unterirdisch vielleicht? Hat es damit zu tun, dass das Kirchenschiff einmal in die andere Richtung gestanden haben soll?
Die älteste der drei Uhren blickt gegen Osten, (was man daran merkt, dass sie erstens etwas größer ist und dass zweitens ihre Restauration wesentlich teurer war, als die der anderen beiden) logisch, weil sich hier das Dorf befand, aber warum wurden dann später nur zwei und nicht drei weitere Uhren montiert?
Und warum fehlt ausgerechnet die Uhr in Richtung Burg? Aus Kostengründen, oder hatten die Adeligen in der Burg ihre eigenen Zeitmesser? Sie sehen schon, hier bin ich keine große Hilfe, aber vielleicht bekomme ich ja von Ihnen eine Antwort auf die eine oder andere Frage.
Wenn wir gerade bei Fragen sind, Sie ahnen es, eine habe ich für Sie und da weiß ich auch die Antwort.
Auf den Zifferblättern der Uhren sind römische Ziffern zu sehen, aber da stimmt doch was nicht. Die 4 müsste doch so aussehen - IV - und nicht so - IIII-, oder? Hat das einen Grund?
1572: Rotes Schloss
Ein mächtiges Gebäude, erbaut auf dem Gelände des ehemaligen Römerkastells von Hans Reinhard von Berlichingen, einem Enkels des Götz von Berlichingen, der 1553 auf der Burg Hornberg geboren
wurde und wohl zurück zu seinen Wurzeln wollte. Das Gebäude musste im 18. Jahrhundert bis auf die Grundmauern abgetragen werden, da die 3-geschossige Dachkonstruktion so sehr auf die Außenmauern drückte, dass die Stabilität des Gebäudes darunter litt. Im Zuge des Neuaufbaus veränderte man die Fassade mit dem Eingangsportal Richtung Süden und die Dachgauben (Quelle: Deutsche Stiftung für Denkmalschutz). Auf der Rückseite des Gebäudes Richtung Pferdestall gibt es zwischen dem Fundament und dem oberen Teil des Baus einen Absatz, der eigentlich keinen Sinn macht. Schauen Sie ihn sich bei einem kühlen Getränk im Biergarten einmal an.
Warum ist er da? Hat der mit dieser Sanierung zu tun? Das wäre die 2. Frage für heute.
1867: südlicher Teil der Burg
Eigentlich besteht die Burg aus drei Gebäudekomplexen, der Torbau im Süden, der zusammen mit dem Park im englischen Stil gestaltet wurde, ist der jüngste. Sie erinnern sich, Burggraben = Graben des Römerkastells. Architekt war ein gewisser August von Beyer, wohl den wenigsten bekannt, aber er war auch der letzte Baumeister des Ulmer Münsters und somit für den 161,53 m hohen Turm zuständig und verantwortlich. Deshalb wurde er zu Recht Ehrenbürger Ulms, was er in seiner Heimatstadt Künzelsau, (damit wäre auch die Verbindung zu Jagsthausen hergestellt) meines Wissens nach, im Gegensatz zu Alexander Gerst, nicht geschafft hat. Irgendwie verständlich, weil Gerst war ja auch ein bisschen weiter oben als die 161,53 m.
Aber ging das überhaupt mit rechten Dingen zu mit der Höhe des Turms? Eine Anekdote erzählt, dass der Hauptturm des Ulmer Münsters mit 153,61 m geplant war.
Nachdem der Kölner Dom 1880 fertig war, mit einer stattlichen Turmhöhe von 157 m, muss in den folgenden Jahren irgendwo durch irgendwen der fatale Fehler passiert sein, dass durch einen Zahlendreher aus 153,61 m 161,53 m wurden. 1890 wurde dann dank dieses „Fehlers“ in Ulm der bis heute höchste Kirchturm der Welt eingeweiht.
Noch ein bisschen unnützes Wissen dazu, er würde locker unter die Kochertalbrücke in Braunsbach passen, denn es wären sogar noch 23,47 m übrig.
2000: Radbrücke Jagsthausen
Liebevoll auch „Roland Halter Brücke“ genannt. Nicht unumstritten in ihrer Bauzeit, aber mal ehrlich, 63 Tonnen Stahl können hässlicher aussehen.
Und wenn man es genau betrachtet, erfüllt sie ihre Funktion, den Radweg weg von der Straße zu holen und sie passt außerdem gut in die Landschaft. Wo an der Jagst findet man noch so eine besondere Brücke. Und da geht es einem wie im richtigen Leben, warum sollte man sich nicht einmal etwas Besonderes gönnen, auch wenn das Bauwerk aller Voraussicht nach nicht 1000 Jahre überdauern wird wie die Burg. Auf die bisweilen gestellte Frage „Braucht ihr das?“ könnte man, zugegebenermaßen etwas überheblich, antworten: “Nö, aber wir wollen es!“
2015: Windpark Hardhäuser Wald
Wer hat nicht schon einmal über die 18 Windkraftanlagen, die leistungsstärksten in Baden-Württemberg, geschimpft, die uns vor allem nachts stetig an die eingeleitete Energiewende erinnern. Aber auch Sie werden kaum die nächsten 1.000 Jahre überdauern - gigantisch, die Ausmaße. Die Höhe der Rotorblattspitze beträgt 207 m. Sie erinnern sich an die Höhe des Ulmer Münster und selbst der Stuttgarter Fernsehturm ist nur 10 m höher.
Wie sagte doch ein kluger Zeitgenosse aus Jagsthausen: „Dank der Windräder weiß ich jetzt immer, aus welcher Richtung der Wind kommt, wenn sich die Blätter im Uhrzeigersinn drehen, (von Jagsthausen aus gesehen) haben wir… - und das soll die dritte Frage heute sein, aus welcher Himmelsrichtung kommt dann der Wind?
Den Nachsatz des Mitbürgers will ich Ihnen nicht vorenthalten, „aber für die Bestimmung der Windrichtung hätte mir ein Windrad genügt“.
2021: Altes erhalten und damit Neues schaffen
Ein regionales Beispiel vom Edelmannshof. Welche Meinung haben sie dazu?
„Mutata in verbis satis“, um wieder einmal die Römer zu bemühen oder um es mit Goethe auszudrücken „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten (Bilder) sehen“.
Das heißt für Sie, im Juli und August werden Sie bei der zu erwarteten Sommerhitze, bei der selbst das Lesen anstrengend sein kann, Bilder zu sehen bekommen, ohne viel Text. Bei den Zeitungen nennt man das glaube ich Sommerloch.
Außerdem habe ich bemerkt, dass heute 16 Fragezeichen im Text habe, und da ist es bei mir wie im richtigen Leben. Wem die Antworten ausgehen, der flüchtet sich gerne in Fragen.
In diesem Sinne passen Sie gut auf sich auf. Bis zum nächsten Mal bei der Tour „Von Tür zu Tür“.
Ihr Siegfried Krause
Fragen, Anregungen, Antworten, Kritik und Sonstiges gerne per E-Mail an Herrn Krause.